Passend zum Kleinkunstpreis Baden-Württemberg lesen Sie hier eine grandiose Kritik aus Müllheim im Breisgau. Am 5. März war René Sydow dort zu Gast im Söhnlin-Keller und die Badische Zeitung war so nett, uns eine Hymne zu schreiben, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.
„Die Bühne sei ein Zirkus“
Der Kabarettist René Sydow gastiert mit seinem Programm „Gedanken! Los!“ im Müllheimer Söhnlin-Keller.
MÜLLHEIM. Mit René Sydow stand am vergangenen Donnerstag im Söhnlin-Keller ein Kabarettist auf der Bühne, dessen schärfste Waffe die Sprache ist. Sein Programm „Gedanken! Los!“ ist anspruchsvoll, fordert vom Zuschauer ständige Konzentration und zeigt den 34-Jährigen in verschiedensten Rollen.
Schon lange ist er kein Unbekannter mehr in der Szene: René Sydows Programm ist vielfach ausgezeichnet, im Februar war er in der Satiresendung „Die Anstalt“ zu sehen und nun erhält er auch noch den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg. Und außerdem, so Elmar Breuer bei der Ankündigung des Künstlers, sei er der erste Badener, der seit Einführung der Querdenker-Veranstaltungsreihe vor mehr als zehn Jahren in dem urigen Kellergewölbe auftritt.
Sydow, schlichtes Sakko und Brille, beginnt harmlos und widmet sich den Funktionsprinzipien der Weltwirtschaft, die vom Konsumenten am Laufen gehalten wird. „Wir brauchen nicht nur eine Handy-App, die uns die nächste Telefonzelle anzeigt, wir brauchen sogar wasserdichte Handys, damit wir im Schwimmbad Fotos von hängenden Familienväterbäuchen machen können.“
Solche Dinge machen Sydow große Sorgen, und weil das so ist, befindet er sich in Therapie, wie er selbst sagt. Er schlüpft in die Rolle seines Therapeuten und fragt, ob er denn keine Kinder hätte. Die Antwort: „Weiß ich nicht, das macht alles meine Frau.“ Als Hobby nennt er das Sammeln „schöner deutscher Wörter“. Grandiose Wortspiele hatte er einige parat: Annette Schavans Ehrendoktortitel sei ihr ein „besonderes Anlügen“ gewesen, IT-Girls machen Karriere im Beischlaf und der Flughafen in Berlin sollte nicht in Schönefeld weitergebaut werden, sondern „in-solvenz“.
Die Sprache scheint es ihm angetan zu haben. Wörter dreht er wie einen Zauberwürfel, gleich werden die Seiten trotzdem nicht, erklärt er. Sprache unterscheide normale Menschen von Til Schweiger. Außerdem hätte er gerne, dass die Vorsilben in Schweiger und Schweighöfer von den beiden Schauspielern als Aufforderung gelesen werden. Der Kabarettist vom Bodensee ist rhetorisch versiert, verändert immer wieder seine Art zu sprechen, die Dynamik in seiner Sprache reißt mit. Man merkt, dass er Erfahrung im Poetry-Slam hat.
Bei manchen Themen wird Sydow auch mal ernst: Deutschlands Rolle als bedeutender Waffenexporteur kritisiert er scharf und rechnet vor: „Für zwei Panzer bekommt man in Deutschland auch vier Kindergärten und ein Hospiz.“ Und nach dem Motto „Ernst beiseite“ lässt er dann durchblicken, was er vom Fernsehprogramm im Allgemeinen und Tatort im Speziellen hält: „Zwei überbezahlte Dumpfbacken essen Currywurst und lösen Fälle, die selbst TKKG mangels Interesse abgelehnt hätten.“ Zwischendurch inszeniert er einen Traum, in dem er auf Rudi Völler trifft, der ihm Haarpflegetipps gibt. Danach begibt er sich zum Arbeitsamt, wo er sich für seine Tätigkeit als Kabarettist selbstironisch rechtfertigt und am Ende trotzdem zu einem Selbstoptimierungsseminar geschickt wird.
Sydows Show schaut man sich nicht nebenbei an. Um seinen originellen Sprachspielchen, teils literarischen Anspielungen und abstrakten Sinnzusammenhängen zu folgen, muss der Zuschauer am Ball bleiben. Sydow schafft das mit seiner lebhaften Art und vor allem durch sein dynamisches Reagieren auf äußere Einflüsse und die Zuschauer: „Und im Publikum sitzen Leute, die alle Käse essen…“, stellt er fest und macht auf ein Alleinstellungsmerkmal des Söhnlin-Kellers aufmerksam: Hier gibt es zum hochkarätigen Kabarett immer eine große Auswahl leckerer Käsesorten.
„Die Bühne sei ein Zirkus“, fordert Sydow – und setzt seine Aussage an diesem Abend konsequent und virtuos in die Tat um.
via Badische Zeitung