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Presse René Sydow

Sydow fühlt der modernen Gesellschaft den Puls

VON OLIVERA GLIGORIC-FÜRER

Mit Poesie, Charme und Wortkunst unterhielt der Kabarettist René Sydow das Publikum auf dem Rathausparkdeck. Dabei konzentrierte er sich auf die für ihn bedeutenden Dinge im Leben eines mündigen Bürgers: auf Gesellschaft und Politik.

Friedrichsdorf. 

Kabarettisten, „die über ihre Penisse oder Freundinnen reden“, gebe es zuhauf, so René Sydow. Das Einzige, was ihn dabei wundere sei, dass das Publikum trotzdem lache. Doch auch darauf hatte der 35 Jahre alte Kabarettist eine Antwort: „Es ist die Reaktion auf einen Schock“, eine Art Schutzmechanismus des Gehirns, der vorm Durchdrehen bewahrt.

Das Sommerbrücken-Publikum auf dem Parkdeck am Rathaus begriff schnell, Sydow ist kein Mann mit Profilneurose, keiner, der sich und seine Mitmenschen der Lächerlichkeit preisgibt, um schadenfrohe Lacher zu ernten. Gut 400 Menschen ließen sich von Sydows Programm „Gedanken! Los!“ hin- und mitreißen.

Sydow ist mehr Analyst und Aufklärer denn reiner Beobachter. Er hat eine Meinung und mit der hält er nicht hinterm Berg. Er kritisiert offen und greift mitunter auch die Gewohnheiten des Publikums an. Doch das ist bereit, die bitteren Pillen zu schlucken – vielleicht, weil der Künstler recht hatte.

Die Zuhörer schwammen mit dem Kabarettisten größtenteils auf einer Linie: Seine ausgefeilten Erklärungen quittierten sie mit großem Applaus. Der Wortartist bewältigte bravourös den Balanceakt zwischen Besserwisserei und Unterhaltung: Seine Beschreibungen gingen nicht mit einem erhobenen Zeigefinger einher, sondern wurden auf einer sanften Welle der Poesie angespült – ohne natürlich das Ziel zu verfehlen.

Sydows Intellekt schien ihm Hässlichkeiten wie unflätige Ausdrücke zu verbieten, er puttete ein, ohne dabei einen Grashalm umzuknicken. Mit lichter werdendem Haupthaar und adrettem, grauen Anzug hätte er ebenso als aufwärtsstrebender Jungprofessor durchgehen können. Sydow ist ebenso klug wie strukturiert. Er begebe sich vor dem Zuhörer auf die Couch seines Therapeuten, weil er sich viel zu viele Sorgen mache um die Welt und den Menschen an sich.

Sein Wissen um der Erde Not teilte er gerne mit. Er erklärte zum Beispiel, was es heißt, in einer fortschrittlichen Welt zu leben, in der es Energiesparlampen gibt, die in Ländern produziert werden, in denen große Teile der Bevölkerung nicht einmal Strom haben. Der Mensch sei zu bequem, um sich eine Meinung zu bilden: „Der Aufwand ist zu groß, um Lüge und Wahrheit voneinander zu trennen.“

Er echauffierte sich über verdummende Fernsehprogramme und machte sich Gedanken über den IQ von sogenannten It-Girls. Er entblößte hippe Management-Seminare als Abzocke und politische Korrektheit als eine Farce, hinter deren Begrifflichkeit sich vor allem die Deutschen gerne versteckten. Die Sprache verändere sich selbst, sie unterliege einem dynamischen Prozess, wie er am Wort „Neger“ festmachte. Ein Wort, welches heute zu Recht nicht gesagt werden dürfe, aber Kinderbücher deswegen umschreiben? „Nicht die Worte sind verletzend, sondern die Gedanken dahinter“, resümierte Sydow.

Sydow ist ein begnadeter Schauspieler und Wortkünstler, ein Poet und Kabarettist, der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist: unter anderem mit dem „Stuttgarter Besen“, der „St. Ingberter Pfanne“ und dem Kleinkunstpreis Baden Württemberg. Und bei der Satiresendung „Die Anstalt“ (ZDF) war er auch schon.